Weltweit trifft die Corona-Pandemie die ärmsten Familien besonders hart. Im Rahmen des aktuellen humanitären Hilfsfonds von SOS-Kinderdorf International unterstützt der SOS-Kinderdorf e. V. daher unter anderem besondere Hilfsprojekte der SOS-Kinderdorforganisationen in Bolivien, Nepal und Äthiopien.
Der SOS-Kinderdorfverein beteiligt sich 2020 mit 10 Millionen Euro am humanitären Appell von SOS-Kinderdorf International. Das Geld fließt in Hilfsprojekte, mit denen verschiedene SOS-Länderorganisationen die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf von ihnen betreute junge Menschen und ihre Familien abfedern. Hier werden beispielhaft drei Projekte in Bolivien, Nepal und Äthiopien vorgestellt.
Handys für arme Familien eröffnen in Bolivien neuen Handlungsspielraum
Als die Erkrankungs- und Sterberaten im März stark anstiegen und das Gesundheitssystem des Landes vor dem Zusammenbruch stand, verhängte Bolivien den Lockdown. „Die Not der ärmsten Familien verschärfte sich dadurch erheblich“, sagt Alfonso Lupo, Nationaler Direktor von SOS-Kinderdorf Bolivien.
„Die Arbeitslosigkeit stieg und damit die Armut. Es gab mehr Gewalt in den Straßen und es wurde verstärkt gebettelt – auch um Nahrungsmittel.“
Alfonso Lupo, Nationaler Direktor von SOS-Kinderdorf Bolivien.
Die SOS-Fachkräfte trieb eine weitere Sorge um: Von einem Tag auf den anderen kappte der Lockdown den Kontakt zu den in den Familienstärkungsprogrammen in Cochabamba und Potosí betreuten 661 Familien mit 2.392 Kindern. Hilfe zur Selbsthilfe für die Eltern soll den Kindern deren Fürsorge erhalten. „Ich arbeite mit sehr belasteten Familien, die meisten zogen vom Land in die Stadt. Sie wohnen in Slums ohne Grundversorgung wie Strom oder fließendes Wasser“, erzählt SOS-Mitarbeiterin Tamara Gonzales. „Sehr oft sind die Mütter mit mehreren Kindern allein. Viele Familien wissen nicht einmal, dass es so etwas wie soziale Unterstützung gibt, und haben keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung. Häufig sind die Kinder unterernährt, manche haben eine Behinderung, die nie diagnostiziert wurde.“
Bis zu vier Jahre lang begleiten die SOS-Teams die Familien in den Familienstärkungsprogrammen. Ihr Ziel ist es, das jeweilige Lebensumfeld zu stabilisieren, die persönliche Entwicklung und Fürsorgefähigkeit der Eltern zu unterstützen sowie ihnen durch berufsbildende Maßnahmen langfristigewirtschaftliche Perspektiven zu eröffnen. Der Lockdown unterband nicht nur jeden Kontakt zu den Familien, viele flohen zudem zurück aufs Land. „Corona bedroht alles, was sie sich von uns unterstützt erarbeitet haben“, sagt Lupo. „Die Familien haben aufgrund ihrer Lebensumstände auch ein erhöhtes Risiko, an Corona zu erkranken. Hinzu kommt, dass die Bildungschancen vieler Kinder gefährdet sind, da alle Bildungseinrichtungen lange geschlossen hatten.“ In dieser Situation entschied sich SOS-Kinderdorf Bolivien zu einer ungewöhnlichen Maßnahme: Unterstützt durch die Hilfe von SOS-Kinderdorf Deutschland erhielt jede der in den beiden Familienstärkungsprogrammen betreuten Familien ein preisgünstiges, internetfähiges Handy sowie ein Tablet fürs Homeschooling.
„Eine Stimme der Hoffnung“
SOS-Kinderdorf Bolivien trägt die Kosten der Telefon- und Internetnutzung, wobei diese limitiert ist. Die Familien bezahlen eine Geräteversicherung gegen Diebstahl. Schritt für Schritt gelang es, gut zwei Drittel der Familien wieder zu erreichen. „Viele sagen, dass diese Verbindung in ihrer verzweifelten Situation wie eine Stimme der Hoffnung ist“, erzählt Lupo. Die Handys bieten einen Weg, Corona-Infos weiterzugeben, Beratungsgespräche zu führen und Video-Chats anzubieten. Lupo betont, dass langfristig noch viel mehr geplant ist.
„Wir wollen arme, sozial oft sehr isolierte Familien in die digitale Welt von heute integrieren.“
Alfonso Lupo
„Denn wir sind überzeugt, dass sich so neue Chancen auftun, gerade bei der Bildung und beruflichen Qualifikation. Wir werden die Familien daher auch im digitalen Bereich entsprechend schulen und begleiten.“ Dank der Unterstützung durch den SOS-Kinderdorf e. V. war es im Übrigen möglich, betreute Familien mit Mitteln zur Desinfektion und Hygiene sowie mit Trinkwasser zu versorgen.
Vielfältige Ansätze fördern Gesundheitsschutz und Nahrungsmittelversorgung in Nepal
Auch Nepal verhängte wegen der Corona-Pandemie eine Ausgangssperre, unter der die bereits geschwächte Wirtschaft des Lande sehr litt. Und wieder sind die Ärmsten davon besonders betroffen, darunter die Familien in den SOS-Familienstärkungsprogrammen. Die Folgen der Pandemie verstärken die Lebensmittelknappheit, die Preise für Nahrungsmittel stiegen enorm. Besonders gefährdet sind dadurch Frauen und Mädchen, da sie kulturbedingt erst nach den männlichen Familienmitgliedern essen und ebenso bei der medizinischen Versorgung an zweiter Stelle stehen. Viele Jugendliche aus den SOS-Verselbständigungsprogrammen verloren ihre Arbeit. Wie alle Bildungsstätten und Versorgungszentren im Land mussten auch die Hermann-Gmeiner-Schulen, die SOS-Berufsausbildungszentren und das SOS-Gesundheitszentrum längere Zeit schließen.
Daraufhin entwickelte SOS-Kinderdorf Nepal Lösungen, um betreuten Familien zu helfen und sicherzustellen, dass jungen Menschen, speziell auch den Mädchen, die Fürsorge ihrer Familien erhalten bleibt. Diese Projekte unterstützt der SOS-Kinderdorfverein durch die aktuellen Hilfsgelder. Unter anderem verteilten die Familienstärkungsprogramme der SOS-Kinderdörfer Grundnahrungsmittel an Familien und errichteten ambulante Krankenstationen. Eine Kinderschutz-Hotline wurde ins Leben gerufen und Eltern erhalten Unterstützung bei der Suche nach neuen Wegen der Existenzsicherung. Um die Weiterbildung betreuter junger Menschen zu fördern sowie neue Informations- und Schulungsmöglichkeitenfür betreute Familien zu schaffen, wird die digitale Ausstattung in den Familienstärkungsprogrammen und im stationären Bereich ausgebaut. Ein weiterer Fokus liegt darauf, die in den stationären Angeboten lebenden Kinder und Jugendlichen sowie die Mitarbeitenden dort zu schützen. In den SOS-Kinderdörfern gab es Hygieneprogramme, Isolationsräume mit entsprechender Ausstattung wurden vorbereitet. Außerdem legten die SOS-Kinderdörfer zusätzliche
Nahrungsmittelvorräte an.
Umfassende Hilfen unterstützen betreute Familien und Care-Leaver in Äthiopien
Um die Ausbreitung von COVID-19 zu verlangsamen, verhängte die Regierung Äthiopiens am 10. April den Ausnahmezustand. Schulen und Märkte schlossen, nationale wie internationale Transportwege waren eingeschränkt. In der Folge stiegen die Lebensmittelpreise, zugleich verschlechterten sich Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten. Mithilfe des SOS-Kinderdorfvereins konnten die SOS-Standorte in Addis Abeba und Bahir Dar Lebensmittel, Wasser, Desinfektionsmittel, Schutzmasken und weitere Hygieneartikel kaufen. Diese Güter kommen in SOS-Familienstärkungsprogrammen betreuten Familien ebenso zugute wie den SOS-Kinderdorffamilien und -Wohngruppen. Betreute Familien, Pflegefamilien und SOS-Care-Leaver bekamen finanzielle Unterstützung, etwa bei Haushaltsausgaben, Bildungs- und Gesundheitskosten oder Mietzahlungen. Besonders gefährdete Familien erhalten Beratung und psychosoziale Unterstützung, um sie vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren. Für das Homeschooling erhielten die SOS-Kinderdorffamilien und -Wohngruppen Internetzugang. Die dort lebenden Kinder und Jugendlichen werden beim Umgang mit den digitalen Medien außerdem pädagogisch begleitet.