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Interview mit Salimane Issifou

Interview mit Salimane Issifou, Geschäftsführer von SOS-Kinderdorf Benin
Erklären Sie bitte die zentralen Probleme, die Kinder und Familien in Benin haben.
Viele Kinder in Benin haben große Probleme, weil sie ohne elterliche Fürsorge sind. Diese Kinder leiden sehr. Manche werden Opfer von Kinderhändlern. Man verkauft sie ins Ausland, wo sie schuften müssen. Die meisten Probleme rühren daher, dass die Eltern arm sind und es viel Unwissen gibt. Viele wissen zum Beispiel nicht, dass Kinder Rechte haben. Sie missachten Kinderrechte. Viele Familien laufen Gefahr, ihr Zuhause zu verlieren und auseinanderzubrechen. Oft hat die Armut mit seelischen und körperlichen Problemen zu tun.
Darüber hinaus gibt es archaische Riten und Gebräuche, auch solche, die Kindesmord Vorschub leisten. Zum Beispiel bei den sogenannten „Hexenkindern“.
Was heißt „arm sein“ in Benin?
Das bedeutet, weniger als einen Euro pro Tag und Person zum Leben zu haben. Unter diesen Bedingungen können sie keine gute Unterkunft finden, sich nicht angemessen ernähren und kleiden. Die Kinder können nicht zur Schule gehen und werden zum Sozialfall. Wenn sie nicht irgendwo aufgefangen werden, leben sie auf der Straße. Oft gibt man ihnen irgendetwas, das sie auf einem Markt verkaufen sollen. Viele dieser Kinder sterben, weil sich niemand um sie kümmert. Niemand bringt sie ins Krankenhaus, wenn sie krank werden. Und es gibt in diesem Land Leute, die menschliche Organe verwenden, um „Zaubermittel“ herzustellen. Das ist der Grund, weshalb Kinder sterben.
Was unternimmt der Staat, um Kindern und Familien zu helfen?
Der Staat Benin hat sehr wenig Mittel. Deshalb stützt sich der Staat auf die Hilfe von Organisationen wie SOS-Kinderdorf. Der Staat und SOS arbeiten zusammen. Seit Februar 2018 gibt es zum Beispiel ein Pflegeeltern-Projekt. Zum ersten Mal überhaupt haben sich Familien zur Verfügung gestellt. Wer die entsprechenden Mittel hat, kann ein elternloses Kind aufnehmen.
Können Sie die Zusammenarbeit zwischen dem Staat und SOS-Kinderdorf noch näher erklären?
SOS-Kinderdorf ist als Experte nah an den staatlichen Stellen und berät sie. Beispielsweise gibt es im Rahmen des nationalen Adoptionsprogramms einen Berichterstatter, der an die Regierung berichtet. Das ist der National Director von SOS-Kinderdorf. Wir laden auch ausländische Experten ein. Letztes Jahr hatten wir zum Beispiel Experten aus der Schweiz da, die den Staat im Bereich Kinderschutz beraten haben.   
Was genau besagen die Kinderrechte („Code d’Enfant“) von Benin?
Das ist ein sehr wichtiges Thema, an dem SOS-Kinderdorf großen Anteil hatte. Zehn Jahre lang haben mehrere Organisationen eine Erklärung zu Kinderrechten gefordert, ohne Erfolg. Als sich dann SOS-Kinderdorf der Sache angenommen hat und an die Abgeordneten der Nationalversammlung herangetreten ist, wurde der „Code d’Enfant“ beschlossen. Im Dezember 2015 hat ihn der Präsident der Republik offiziell verkündet. Aber der Großteil der Bevölkerung weiß nichts davon. Deshalb haben SOS-Kinderdorf und seine Partner die Kampagne „Le Benin au Rythme du Code de l’Enfant“ gestartet. Mit dieser Kampagne wollen wir den Inhalt dieser Erklärung überall hin tragen, mit Hilfe der Grundschulen, der Medien, der Gemeinden. Jeder soll den „Code d’Enfant“ anwenden und die Lebensbedingungen der Kinder auf diese Weise verbessern.
Welchen konkreten Effekt hat die Arbeit von SOS-Kinderdorf?
SOS-Kinderdorf verbessert heute das Leben von rund 3500 Kindern in Benin. Darunter solche, die ihre Familie ganz verloren hatten und solche, deren Familien von den Familienstärkungsprogrammen profitieren. Dank SOS wissen diese Familien jetzt besser, wie sie sich angemessen um ihre Kinder kümmern können. Wie Sie wissen, braucht man kein Diplom, um Kinder zu bekommen. Sogar in Deutschland nicht. Also bekommen Leute Kinder, ohne zu wissen, wie man sich angemessen um sie kümmert. Darüber hinaus erhalten die Menschen Zugang zu Kleinkrediten für wirtschaftliche Aktivitäten, die der Familie ein besseres Auskommen verschaffen. Im Rahmen des Familienstärkungsprogramms werden ungefähr 1.500 Kinder in 400 Familien   unterstützt. Dies umfasst unsere Standorte in Abomey-Calavi, Dassa-Zoumé und Natitingou.
Warum ist diese Form der Unterstützung notwendig?
Am Anfang hat SOS-Kinderdorf die Rolle einer Feuerwehr gespielt. Wenn die Familie auseinanderbrach, wenn die Eltern starben, hat man die Kinder aufgenommen. Dann ist man sich darüber klargeworden, dass man das eigentliche Problem nicht löste. Dass man Familien stärken muss, damit sie nicht auseinanderbrechen. Darüber hinaus hat man erkannt, dass man auch die Gemeinde, die Umgebung der Familien einbeziehen muss, dass auch diese Strukturen gestärkt und über Gesetze und Kinderrechte aufgeklärt werden müssen.
Welche Rolle spielen Nichtregierungs-Organisationen in Benin?
Eine große, denn die staatliche Macht ist begrenzt, was ihre Ressourcen angeht. Das Budget des Sozialministeriums macht weniger als 0,05 Prozent des jährlichen Haushalts aus. Sie werden mir zustimmen, dass man mit diesem kleinen Etat nichts bewegen kann. Nichtregierungs-Organisationen bringen viel Geld ins Land. Sie arbeiten zusammen, auch mit dem Staat, um die Lebensbedingungen von Kindern und Familien zu verbessern. Und es gibt Zusammenkünfte in den Rathäusern, bei der Zentralregierung, um diese Aktivitäten zu koordinieren.
Welche Ziele haben Sie ganz persönlich?
Ich kämpfe gegen eine Sache, die bei vielen Menschen in diesem Land in Vergessenheit geraten ist: Das Problem der sogenannten Hexenkinder. Immer noch sterben Kinder, werden Neugeborene getötet, weil sie in Steißlage geboren werden oder weil sie als Neugeborene schon Zähne haben.  Wir haben ein Projekt in Parakou ins Leben gerufen, um diesen Kindern ein Zuhause zu geben. Es wäre wirklich großartig, wenn wir dieses Phänomen der Hexenkinder nach und nach ausrotten.
Sie haben den „Dare4Care Award“ für die  Einrichtung in Abomey-Calavi erhalten. Was unterscheidet Sie von anderen SOS-Kinderdörfern?
Dieser Preis zeichnet in der ganzen Welt Kinderdörfer aus, die besonders innovativ sind. In der Vergangenheit funktionierte mehr oder weniger jedes Kinderdorf auf die gleiche Art und Weise. In Abomey-Calavi hingegen wurden viele neue Dinge gleichzeitig ausprobiert. Zum Beispiel haben wir die Erfahrung gemacht, dass sich manche Kinder besser entwickeln, wenn die mit ihrer Kinderdorf-Familie in ihrer Gemeinde bleiben, dort in ein Haus ziehen und nicht ins Kinderdorf gehen.
Außerdem macht jeder Teilnehmer des Familienstärkungsprogramms bei uns ein dreijähriges Training, das auch wirtschaftliche Kompetenzen und Allgemeinbildung beinhaltet.
Darüber hinaus gibt es ein Programm namens Telemedizin für Gemeinden, in denen es weder ein Krankenhaus noch einen Arzt gibt. Dorthin schicken wir Handys, um so Informationen über den Gesundheitszustand von Kindern zu sammeln. Die Aufnahmen werden an Ärzte gesendet, die in Deutschland oder in Benin sitzen und dann entscheiden können, wie die betreffenden Kinder zu behandeln sind. Das ist einzigartig in Benin, und es ist die erste SOS-Landesniederlassung weltweit, die diesen Ansatz verfolgt. Auch was digitale Bildung angeht, die Bildung von Müttern, von Kindern, von SOS-Personal, passiert viel bei uns.
Was bedeutet diese Auszeichnung für Ihre zukünftige Arbeit?
Mit diesem Preis haben die SOS-Mitarbeiter bestätigt bekommen, dass ihre Arbeit gut ist. Er ermutigt uns, unsere Arbeit noch besser zu machen. Er bestätigt uns in unserem Tun und zeigt uns, dass wir auf unserem Weg weitergehen und die Dinge immer noch ein Stückchen besser machen können.

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