Pinar Atalay wurde 1978 in Lemgo als Tochter türkischer Einwanderer geboren. Sie ist selbst Mutter einer Tochter und moderiert seit 2014 die tagesthemen der ARD. Pinar Atalay engagiert sich seit 2018 für das SOS-Kinderdorf Hamburg. Als Nachrichtenmoderatorin ist Pinar Atalay eines der bekanntesten Gesichter des Landes. Die Familie hat ihr die Kraft gegeben, ihren ganz eigenen Weg zu gehen.
Frau Atalay, reden wir über Familie. Im Januar letzten Jahres sind Sie zum ersten Mal Mutter geworden. Hat das eigene Kind Ihre Sicht auf das Thema Familie stark verändert? Was ist für Sie das Aufregendste am neuen Lebensabschnitt?
Jeder, der Kinder hat, weiß, dass dieser neue Lebensabschnitt eine Herausforderung ist. Allerdings die schönste, die ich mir vorstellen kann. Wir sind zu dritt ein eingespieltes Team und meistern den Alltag als Familie ganz gut. Ich habe früh wieder angefangen zu arbeiten, was sich aber gut organisieren ließ. Mein Mann und ich haben uns so aufgeteilt, dass immer einer von uns für unsere Tochter da ist.
Ihre Eltern sind 1972 als türkische Gastarbeiter von Istanbul in den nordrheinwestfälischen Kreis Lippe gezogen. Sechs Jahre später kamen Sie auf die Welt. Schweißt es eine Familie enger zusammen, wenn sie in einem fremden Land einen Neuanfang wagt?
Meine Eltern haben Großes geleistet. Innerhalb kürzester Zeit mussten sie eine neue Sprache lernen, sich an ein völlig anderes Land gewöhnen. Ich komme aus einer Arbeiterfamilie, wir hatten zwar alles, was man benötigt, aber für große Sprünge reichte das Geld nie. Meine Eltern haben beide gearbeitet, und das war schon eine Herausforderung mit zwei Kindern in einer neuen Umgebung ohne andere Familienmitglieder wie Großeltern, die mal einspringen können. Wir waren zu viert, quasi auf uns allein gestellt, und das hat bei all den Schwierigkeiten gut geklappt, was ich meinen Eltern hoch anrechne.
Wenn Sie an Ihre eigene Kindheit denken: Was hat Sie damals am meisten geprägt? Was wissen Sie heute im Rückblick am meisten zu schätzen?
Ich bin in einem kleinen Ort groß geworden. In einer Siedlung, in der Menschen aus verschiedenen Kulturen und aus unterschiedlichen sozialen Schichten lebten. Ich habe sowohl mit dem Sohn eines italienischen Arbeiters als auch mit der Tochter eines leitenden Unternehmers gespielt. Sozialbauten, in solch einem wohnten wir, reihten sich an schicke Einfamilienhäuser. Das Zusammenleben klappte nicht immer reibungslos, aber doch lebte man zusammen in dieser Siedlung, was mich sicher geprägt hat. Zudem war ich eigentlich den ganzen Tag draußen, mitten in der Natur, eine schöne Umgebung für ein Kind.
Wie viel Einfluss hatten Ihre Eltern auf Ihren Werdegang?
Ich hatte schon sehr meinen eigenen Kopf, aber meine Eltern haben mich in allem unterstützt. Als ich beim Radio anfing, waren sie schon etwas besorgt, wo das hinführen soll. Sie haben meine Entscheidung aber mitgetragen und respektiert.
Was ist für Sie das Wichtigste, was Sie Ihrer Tochter mit auf den Weg geben wollen?
Mein Mann und ich wünschen unserer Tochter, dass sie ein eigenständiges und zufriedenes Leben führen kann. Wir sind quasi das Support-Team, immer da. Sie haben beim Fernsehen eine steile Karriere hingelegt.
Heute sind Sie Anchorwoman der tagesthemen und damit eines der bekanntesten Gesichter im Land. Ist Ihr Fernsehteam eigentlich auch so eine Art Familie für Sie?
Bei den tagesthemen arbeiten wir in einem festen, gut eingespielten Team. Wir sind meist 13 Stunden am Tag im Büro und bereiten die Sendung vor. Und das oft sieben Tage am Stück. Da kann ich schon von einer TT-Familie sprechen, und ich bin sehr gerne Teil dieser Familie.
Hanns Joachim Friedrichs hat gesagt, man dürfe sich als Moderator mit einer Sache nicht gemein machen, auch nicht mit einer guten. „Nur so schaffst du es, dass die Zuschauer dir vertrauen, dich zu einem Familienmitglied machen, dich jeden Abend einschalten und dir zuhören.“ Sehen Sie das genauso?
Ich komme ja quasi ins Wohnzimmer der Zuschauer. Während sie gemütlich auf dem Sofa sitzen, spreche ich über den Fernseher zu ihnen. Da entsteht eine gewisse Nähe. Und so soll es auch sein. Als Nachrichtenmoderatorin bin ich sicher distanzierter als jemand, der eine Familienshow moderiert. Aber doch fühlen sich viele Zuschauer verbunden und das freut mich. Da ich nicht immer so perfekt zurechtgemacht und auch mal mit einer löchrigen Jeans privat unterwegs bin, bringt mich nicht jeder mit der Pinar Atalay aus dem Fernsehen zusammen. Und doch wird man oft erkannt, was auch gerne mal in einem netten Gespräch mündet.
Chancengerechtigkeit ist heute ein großes Thema in unserer Gesellschaft. Es gibt viele Kinder, die nicht das Glück haben, in einer Familie aufzuwachsen, die die finanziellen Möglichkeiten hat, sie bestmöglich zu fördern. Wie kann man die Chancengerechtigkeit für Kinder stärken?
Der eigene Weg sollte nicht vorgezeichnet sein, es sollte nicht überraschen, dass eine Journalistin aus einer Arbeiterfamilie kommt. Oder dass ein Kind, dessen Eltern nicht in Deutschland geboren wurden, jetzt mit deutscher Sprache arbeitet. Warum nicht? Bildung selbst ist immer förderungswürdig, ein sehr wichtiger Faktor für unser Land, in dem es noch mehr Chancengerechtigkeit geben kann. Es darf nicht zählen, wo ich herkomme, sondern was ich daraus machen kann.
Sie sind Botschafterin für das neue SOS-Kinderdorf in Hamburg. Wie kam es dazu? Warum haben Sie sich für das SOS-Kinderdorf entschieden?
Als ich gefragt wurde, ob ich mich für das SOS-Kinderdorf in Hamburg engagieren will, habe ich ziemlich schnell gewusst: Ja, das will ich. Familien und Kinder, vor allem wenn sie unter schwierigen Umständen ihren Alltag meistern müssen, brauchen Hilfe. Und ich helfe gerne.